„Die Verwandlung des Klaviers“ ist der Titel, den ich für meine eigenständige Klaviermethodik gewählt habe, die ich in meiner neu erschienen gleichnamigen Publikation vorstelle (s. Bücher). Das Klavier ist, unverwandelt, ein „mechanischer Kasten“, wie Heinrich Neuhaus sagt. Grosse Pianisten wissen es aber in ein wunderbares, in seinen Ausdrucksmöglichkeiten schier unbegrenztes Instrument zu verwandeln. In der Nachfolge von Chopin und in der Schule von Elisabeth Caland gibt es das Konzept einer „Aufhebung des Anschlags“ (vgl. http://www.gerhard-herrgott.de/index.html). Heinrich Neuhaus und seine Schule haben das gesanglich-poetische Spiel auf eine staunenswerte Höhe gehoben, die alles Mechanische vergessen lässt ->Skrijabin: Albumblatt. Meine Lehrerin Esther Yellin, selbst Schülerin bei Neuhaus und zunächst ganz in den Spuren des Meisters, berichtet von dem grossen Eindruck, den das Beethovenspiel Claudio Arraus auf sie gemacht habe. Diese Erfahrung wurde ihr zum Anstoss, die Klavierkunst stärker räumlich- architektonisch zu verstehen, Phrasen aufzubauen, die Stimmen stärker zu differenzieren und den Zwischenraum zwischen ihnen stärker wahrzunehmen. Die Errungenschaften der Neuhaus-Schule hat sie sich dabei dennoch erhalten.
Erst in den letzten Jahren (vgl. „Wie es dazu kam“) ist es mir gelungen, die Prinzipien derjenigen Verwandlung des Klaviers, deren Zeuge ich im Unterricht bei Esther Yellin geworden bin, in ihren Prinzipien zu verstehen und diese zu systematisieren. Ich bin daran, sie in einem klaviermethodischen Buch festzuhalten und zu veröffentlichen. Ein vorab in einem philosophischen Kontext veröffentlichter Text, der allerdings ein blosses Zwischenstadium markiert („Das Klavier zwischen punktuellem Impuls und Klangsphäre. Metaphysische Implikationen eines Musikinstruments im Blick auf das Zeiträtsel der Gegenwart“, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch [41] 2015, 45-62), hat übrigens auch das Interesse und die Zustimmung von Peter Feuchtwanger gefunden, der darin eine „Bestätigung seiner Einsichten“ wahrgenommen hat und auf meine in Aussicht gestellte grössere Veröffentlichung gespannt ist.
Begleitend zur schriftlichen Publikation meiner Resultate biete ich Präsentationen und Workshops zu meiner Methodik an – für interessierte Pianisten und Klavierpädagogen. Die „Verwandlung des Klaviers“, zu der ich anleite, beruht auf einer ebenso starken wie genauen Vergegenwärtigung der inneren Dynamik der Musik. Entscheidend ist, gerade beim Klavier, was zwischen den Tönen passiert. Das ist allerdings nichts Neues. Neu ist die Leistungsfähigkeit und Transparenz meiner Methode zur Vergegenwärtigung jenes Zwischen. Sie beruht auf der Nutzung des Potentials, das in unserem Taktsystem liegt und in der Regel weitgehend verkannt wird. Damit ist zugleich gesagt, dass mein Zugang in erster Linie an der Erschliessung des klassisch-romantischen Klavierrepertoires orientiert ist. Nähere Informationen zum Inhalt und zu den methodischen Schritten finden sich unter der Rubrik „Angebot“.
Wie es dazu kam
Den entscheidenden Impuls verdanke ich der in jeder Hinsicht ausserordentlichen Erfahrung des Unterrichts bei Esther Yellin in den Jahren zwischen 1989 und 1997. Dieser Unterricht war damals eine unerhörte Überforderung für mich. Zwar habe ich im Jahr 1996 das Lehrdiplom beim SMPV erworben, sogar mit dem Prädikat „sehr gut“, doch mein damaliges Klavierspiel erschien mir als ein reiner Krampf, im physischen wie psychischen Sinne, und konnte den von mir verinnerlichten Ansprüchen meiner Lehrerin in keiner Weise gerecht werden. Rückblickend ist es genau dieses Scheitern, das zum Ausgangspunkt für ein tieferes Verstehen wurde. Jedenfalls brach ich den Unterricht damals ab und wandte mich einem Philosophiestudium zu. Hier meinte ich in diesen Jahren meine eigentliche Berufung zu erkennen. Vor gut fünf Jahren ereignete sich dann aber etwas Unerwartetes: Ich machte am Klavier eine Erfahrung, die meinen Zugang zum Instrument und zum Musizieren grundlegend und schlagartig verwandelte. Seither bin ich daran, diese Erfahrung zu reflektieren und vermittelbar zu machen. Die ganze dazugehörige Geschichte habe ich dargestellt und veröffentlicht unter dem Titel „Das offenbare Geheimnis“, erschienen im Staccato-Verlag, Düsseldorf.
So machtvoll und produktiv die Erfahrung sogleich für mich selber war, so wenig liess sie sich anfangs vermitteln. Wie so oft in theoretischen Angelegenheiten war zuerst der Schritt vom Intuitiven zum Diskursiven zu tun. Da ich überdies niemals wie ein Pianist „funktioniert“ hatte, fiel mir die Demonstration am Klavier schwer. Es brauchte einige Jahre, bis die Theorie genügend klar geworden ist und ich andererseits fähig wurde, am Klavier, und jetzt an geeigneten Beispielen, zu zeigen, worum es geht. Für die Geduld der „Opfer“ meiner ersten Präsentationen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken!
In theoretischer Hinsicht fand mein Ansatz eine für mich selbst erstaunliche Bestätigung und Klärung durch die Musiktheorie Victor Zuckerkandls, wie er sie in seinem Buch „Die Wirklichkeit der Musik“ (Zürich 1963) dargestellt hat.